Freitag, 12. Februar 2021

Estomihi

 14. Februar 2021

Wir haben den Gottesdienst aufgenommen. 


Evangelisches Gesangbuch

Im Evangelischen Gesangbuch findet man die Texte zum Sonntag Estomihi unter der Nummer 954.22. Digital findet man alles auf der Seite "Das Kirchenjahr".

Die Farben des Kirchenjahres lassen sich in dieser Grafik finden. Den liturgischen Kalender bieten die bayrischen Landeskirche und die Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche Deutschlands an.

Für alle zitierten Bibeltexte gilt: Lutherbibel 1984, © Deutsche Bibelgesellschaft

Wochenspruch:

Seht, wir gehen hinauf nach Jerusalem, und es wird alles vollendet werden, was geschrieben ist durch die Propheten von dem Menschensohn. (Lk 18, 31)

Wochenlieder:

  • Liebe, die du mich zum Bilde (EG 401)
  • Wir gehn hinauf nach Jerusalem (LPfG 3)

Lieder

fT 101 Tenemos esperanza

fT 52 Herr, erbarme dich

fT 105 Manches Holz ist schon vermodert

fT 174 Ich bin auf der Flucht

fT 177 Freunde, dass der Mandelzweig

Evangelium - Mk 8, 31-38

Und Jesus fing an, sie zu lehren: Der Menschensohn muss viel leiden und verworfen werden von den Ältesten und Hohenpriestern und Schriftgelehrten und getötet werden und nach drei Tagen auferstehen. 32 Und er redete das Wort frei und offen. Und Petrus nahm ihn beiseite und fing an, ihm zu wehren. 33 Er aber wandte sich um, sah seine Jünger an und bedrohte Petrus und sprach: Geh weg von mir, Satan! denn du meinst nicht, was göttlich, sondern was menschlich ist.

34 Und er rief zu sich das Volk samt seinen Jüngern und sprach zu ihnen: Wer mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach. 35 Denn wer sein Leben erhalten will, der wird's verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen und um des Evangeliums willen, der wird's erhalten. 36 Denn was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme an seiner Seele Schaden? 37 Denn was kann der Mensch geben, womit er seine Seele auslöse? 38 Wer sich aber meiner und meiner Worte schämt unter diesem abtrünnigen und sündigen Geschlecht, dessen wird sich auch der Menschensohn schämen, wenn er kommen wird in der Herrlichkeit seines Vaters mit den heiligen Engeln.

Predigttext Jes 58, 1-9a

Rufe getrost, halte nicht an dich! Erhebe deine Stimme wie eine Posaune und verkündige meinem Volk seine Abtrünnigkeit und dem Hause Jakob seine Sünden! 2 Sie suchen mich täglich und begehren, meine Wege zu wissen, als wären sie ein Volk, das die Gerechtigkeit schon getan und das Recht seines Gottes nicht verlassen hätte. Sie fordern von mir Recht, sie begehren, dass Gott sich nahe. « 3 Warum fasten wir, und du siehst es nicht an? Warum kasteien wir unseren Leib, und du willst's nicht wissen?» - Siehe, an dem Tag, da ihr fastet, geht ihr doch euren Geschäften nach und bedrückt alle eure Arbeiter. 4 Siehe, wenn ihr fastet, hadert und zankt ihr und schlagt mit gottloser Faust drein. Ihr sollt nicht so fasten, wie ihr jetzt tut, wenn eure Stimme in der Höhe gehört werden soll. 5 Soll das ein Fasten sein, an dem ich Gefallen habe, ein Tag, an dem man sich kasteit, wenn ein Mensch seinen Kopf hängen lässt wie Schilf und in Sack und Asche sich bettet? Wollt ihr das ein Fasten nennen und einen Tag, an dem der HERR Wohlgefallen hat? 6 Das aber ist ein Fasten, an dem ich Gefallen habe: Lass los, die du mit Unrecht gebunden hast, lass ledig, auf die du das Joch gelegt hast! Gib frei, die du bedrückst, reiß jedes Joch weg! 7 Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn, und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut!a 8 Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten, und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen, und die Herrlichkeit des HERRN wird deinen Zug beschließen. 9 Dann wirst du rufen, und der HERR wird dir antworten. Wenn du schreist, wird er sagen: Siehe, hier bin ich.

Erste Überlegungen

Wir hatten uns am vergangenen Mittwoch im Rahmen der Pfarrkonferenz mit dem Predigttext beschäftigt und die Auslegung durch Rabbi Arthur Waskow gelesen. Dessen Predigt fand ich absolut inspirierend. Hier zwei Zitate vom Anfang der Predigt: 

"Spiritualität" und "Politik" sind nicht zu trennen.

"Das Gebet ist bedeutungslos, wenn es nicht subversiv ist." (Heschel)

Jesaja stellt fest: "... ihr geht doch euren Geschäften nach und bedrückt alle eure Arbeiter ..., wenn ihr fastet, hadert und zankt ihr und schlagt mit gottloser Faust drein ..." Und in Gottes Namen fragt er: "Wollt ihr das ein Fasten nennen und einen Tag, an dem der HERR Wohlgefallen hat?" Und Gott sagt durch den Mund seines Propheten, was er fordert: 

Lass los, die du mit Unrecht gebunden hast, lass ledig, auf die du das Joch gelegt hast! 

Gib frei, die du bedrückst, reiß jedes Joch weg! 

Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! 

Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn, und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut!

Wenn ich das lese, habe ich prekäre Arbeitssituationen vor Augen, die weltweiten Migrationsströme und Menschen, die in Coronazeiten noch mehr abgehängt werden.

Mit dem Aschermittwoch in der kommenden Woche beginnt die Fastenzeit. Das Motto heißt "Spielraum! Sieben Wochen ohne Blockaden". Mir geht im Blick auf diese Aktion auch die Frage von Jesaja durch den Kopf: "Siehe, an dem Tag, da ihr fastet, geht ihr doch euren Geschäften nach und bedrückt alle eure Arbeiter. ... Wollt ihr das ein Fasten nennen und einen Tag, an dem der HERR Wohlgefallen hat?"

Predigt

Ich suche mir zwar oft die Predigttexte aus, aber dieses Mal ist der von der Leseordnung vorgesehene Bibeltext aus dem Buch des Propheten Jesaja, Kapitel 58, die Verse 1-9, tatsächlich der für den heutigen Sonntag vorgesehene Predigttext. Doch bevor ich den Text lese ein paar einführende Gedanken. 

Das Buch Jesaja gliedert sich in drei Teile bzw. wird drei Autoren zugeschrieben: 

  • Im ersten Teil, er umfasst die Kapitel 1-39, kommt der Prophet Jesaja zu Wort, der dem Buch den Namen gab - er wirkte zwischen 740 und 701 v. Chr. 
  • Es folgt Deuterojesaja, der zweite Jesaja - seine Texte aus den Kapitel 50-55 datiert man in die Zeit um 539 v. Chr. Die Israeliten hatten die Kriege gegen Assyrien und Babylonien verloren, die Oberschicht war 586 nach Babylon deportiert worden, aber das Babylonische Exil näherte sich dem Ende. 
  • Und dann gibt es noch Tritojesaja, den dritten Jesaja. Er wirkte etwa zwischen 521 und 510 v. Chr. und war vielleicht ein Schüler Deuterojesajas. Die ihm zugeschriebenen Texte findet man in den Kapiteln 56–66. Ein Teil der Israeliten war aus dem babylonischen Exil zurückgekehrt, man hatte den zerstörten Tempel wieder aufgebaut und die vertrauten Gottesdienste eingeführt; die alten Lieder erklangen, die alten Rituale wurden lebendig, fast war es wie früher. Aber Gott muss sich auch jetzt wieder mit einem Gerichtswort an sein Volk wenden. 

Am vergangenen Mittwoch hatten wir Pastoren uns im Rahmen der Pfarrkonferenz mit dem Thema 1700 Jahre Judentum in Deutschland. Auch bei unseren Jüdischen Geschwistern wird der Text gelesen, und zwar am höchsten Feiertag, ab Jom Kippur. 

Jom Kippur, hebräisch “Tag der Sühne”, deutsch zumeist “Versöhnungstag” oder “Versöhnungsfest”, ist der höchste jüdische Feiertag. Er fällt nach unserem Kalender auf unterschiedliche Daten im September oder Oktober. Er ist ein strenger Ruhe- und Fastentag. Zusammen mit dem zehn Tage davor stattfindenden zweitägigen Neujahrsfest Rosch ha-Schana bildet er die Hohen Feiertage des Judentums und den Höhepunkt und Abschluss der zehn Tage der Reue und Umkehr. Jom Kippur wird von einer Mehrheit der Juden, auch nicht religiösen, in mehr oder weniger strikter Form eingehalten. … Geschichtlich gesehen geht der Tag wahrscheinlich auf die Zeit nach dem Babylonischen Exil zurück. (Wikipedia)

Als Vorbereitung auf den heutigen Tag beschäftigten wir uns mit dem Predigttext. Zusammen mit anderen hörte ich die Auslegung durch Rabbi Arthur Waskow. Seine Predigt fand ich absolut inspirierend. Zu Beginn seiner Predigt zitiert er Abraham Joshua Heschel, ein Rabbiner und Religionsphilosoph im letzten Jahrhundert, 1907 geboren in Polen, vor den Nazis geflohen und in Amerika 1972 gestorben. Heschel erklärt: 

"Spiritualität" und "Politik" sind nicht zu trennen.

"Das Gebet ist bedeutungslos, wenn es nicht subversiv ist."

aufrührerisch - aufsässig - aufständisch - aufwieglerisch - rebellisch - revolutionär - widersetzlich - zersetzend - aufbegehrend - rebellierend - revoltierend - aufmüpfig

Wenn ich diese Sätze zitiere, ahnen Sie schon, dass eine Predigt über Jesaja 58 eigentlich auch heute nur subversiv sein kann. Dabei ist mir schon klar, dass Sie, die Sie heute morgen zum Gottesdienst gekommen sind, eigentlich nicht die Adressaten der prophetischen Gerichtsworte sind. Aber vielleicht können wir miteinander die Botschaft in die Welt tragen. Die allerdings sollte die Worte des Propheten ganz bestimmt hören. Hören wir also, was die Heilige Schrift uns sagt. 

Rufe getrost, halte nicht an dich! Erhebe deine Stimme wie eine Posaune und verkündige meinem Volk seine Abtrünnigkeit und dem Hause Jakob seine Sünden! 

Zunächst redet Gott seinen Propheten an und ermutigt ihn zum Handeln. Der Widerstand seiner Zuhörer ist offensichtlich vorprogrammiert. Rabbi Waskow macht mit seiner Auslegung dieses Eingangsverses deutlich, was gemeint sein kann: 

Am Jom-Kippur-Morgen lesen wir eine prophetische Passage von Jesaja, in der er beschreibt, was geschah, als er die Gebete und das Fasten einer Menge unterbrach, die glaubte, ihre religiösen Pflichten zu erfüllen.

Jesaja scheint zu sagen, dass er tatsächlich in die Menge einer großen Jom-Kippur-Versammlung hineinging.

Rabbi Waskow hat offensichtlich einen Fastengottesdienst im Tempel vor Augen, auf den Jesaja zukommt. Nach einem strengen Fasten, das sich womöglich über Stunden oder sogar Tage hingezogen hat, sind die Menschen im Tempel, singen, beten, hören den Leviten und Priestern zu. Und dann kommt Jesaja: “Rufe getrost, halte nicht an dich! Erhebe deine Stimme wie eine Posaune und verkündige meinem Volk seine Abtrünnigkeit und dem Hause Jakob seine Sünden!” So hatte Gott es ihm aufgetragen. 

Rabbi Waskow fährt dann fort: 

Jesaja stand Leuten gegenüber, die sich gut fühlten, weil sie sich schlecht fühlten (nachdem sie 18 Stunden oder so gefastet hatten). Er schrie sie an, dass das alles nebensächlich sei. ...

Er bemerkt, dass sie am heiligen Tag selbst, als sie seine Worte hörten, ihre Fäuste gegen ihn schüttelten. Wahrscheinlich waren sie wütend, weil er die schönen Lieder unterbrach, die die Leviten sangen. ...

Er erschütterte die traditionelle Liturgie, er erschütterte den Gleichmut dieser spirituellen Leute, er leugnete die Authentizität ihrer Erfahrung. Er führte keine höfliche Debatte mit ihnen.

Nein, Jesaja bzw. Gott, in dessen Namen der Prophet spricht, die führen keine höfliche Debatte. In Gottes Namen hält Jesaja der gottesdienstlichen Gemeinde vor: 

Sie suchen mich täglich und begehren, meine Wege zu wissen, als wären sie ein Volk, das die Gerechtigkeit schon getan und das Recht seines Gottes nicht verlassen hätte. 

Der Gebrauch des Konjunktivs, der Möglichkeitsform macht deutlich, dass der äußere Anschein mit dem, was tatsächlich sein soll, offensichtlich nicht übereinstimmt. Gott sieht wohl, dass Israel das Ritual des Gottesdienstes wieder aufgenommen hat - aber das Herz ist nicht dabei. Und Gott hört die Frage, die im Raum steht. 

Sie fordern von mir Recht, sie begehren, dass Gott sich nahe. «Warum fasten wir, und du siehst es nicht an? Warum kasteien wir unseren Leib, und du willst's nicht wissen?» 

Mit anderen Worten: Gott, wir befolgen alle Regeln. Wir beten, fasten, singen, hören - jetzt bist du an der Reihe, jetzt musst du reagieren, jetzt muss es uns gut gehen. Warum reagierst du nicht - wie wir das wollen und erwarten?

Gottes Antwort ist niederschmetternd und entlarvend:

Siehe, an dem Tag, da ihr fastet, geht ihr doch euren Geschäften nach und bedrückt alle eure Arbeiter. Siehe, wenn ihr fastet, hadert und zankt ihr und schlagt mit gottloser Faust drein. 

Ihr sollt nicht so fasten, wie ihr jetzt tut, wenn eure Stimme in der Höhe gehört werden soll. Soll das ein Fasten sein, an dem ich Gefallen habe, ein Tag, an dem man sich kasteit, wenn ein Mensch seinen Kopf hängen lässt wie Schilf und in Sack und Asche sich bettet? Wollt ihr das ein Fasten nennen und einen Tag, an dem der HERR Wohlgefallen hat? 

Da werden auf der einen Seite die Regeln des Gottesdienstes eingehalten, auf der anderen Seite stehen Unterdrückung und Geschäftssinn. “Ihr geht euren Geschäften nach”, schleudert Gott den Betenden entgegen, “ihr bedrückt eure Arbeiter, hadert, zankt, schlagt mit gottloser Faust zu”. Ich hatte sofort die prekäre Arbeitssituationen unserer Gegenwart vor Augen, die weltweiten Migrationsströme und Menschen, die in Coronazeiten noch mehr abgehängt werden als das sonst auch schon der Fall ist. Aber offensichtlich bin ich nicht der einzige, dem solche Gedanken durch den Kopf gehen. Rabbi Arthur Waskow schreibt in seiner Predigt: 

Ich habe die Verse aus Jesaja mit Schlagzeilen über Obdachlose unterbrochen, die auf den Straßen von Philadelphia erfrieren. Über 300 Arbeitslose, die sich um Arbeit bewerben, obwohl nur zehn Stellen ausgeschrieben waren. Über Mütter, die zwischen Essen und Medizin für ihre Kinder wählen müssen. Über die Folterung von Gefangenen im Irak, in Israel, in Amerika.

Und noch ein Gedanke: Mit dem Aschermittwoch in der kommenden Woche beginnt die Fastenzeit. Das evangelische Motto heißt "Spielraum! Sieben Wochen ohne Blockaden". Dazu schreibt einer der Verantwortlichen: “Gemeinschaften brauchen Regeln. Doch zu den Regeln gehört Spielraum. Und dessen Auslotung ist eine Kunst. … Ich werde meinen persönlichen Umgang mit Regeln im Sinne des Fastenmottos 2021 „Spielraum – Sieben Wochen ohne Blockaden“ erkunden. Wie kann ich innerhalb von akzeptierten Grenzen großzügig und vertrauensvoll leben?” Ist das ein Fasten, an dem der Gott Wohlgefallen hat? 

Der sagt durch seinen Propheten sehr deutlich, wie er sich ein Fasten vorstellt:

Das aber ist ein Fasten, an dem ich Gefallen habe: 
    • Lass los, die du mit Unrecht gebunden hast, 
      • lass ledig, auf die du das Joch gelegt hast! 
    • Gib frei, die du bedrückst, 
      • reiß jedes Joch weg! 
    • Brich dem Hungrigen dein Brot, 
      • und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! 
    • Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn, 
      • und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut!

Der Blick verschiebt sich ganz massiv. Es geht Gott nicht um den richtigen Gottesdienst, um das richtige Ritual. Gott lenkt den Blick auf den Mitmenschen, insbesondere auf den Nächsten, der es schwer hat in seinem Leben. Die durch ungerechte Arbeitsverträge Geknechteten sollen frei werden, die Hungernden gesättigt und die Nackten gekleidet. Aktueller kann man die Krisen in unserer Gegenwart nicht beschreiben. Wer sich ein wenig in der Bibel auskennt, weiß, dass Jesus mal etwas ähnliches gesagt hat. Es ging bei ihm ums Endgericht (Mt 25,31ff): 

… Er wird sie voneinander scheiden … und ... die Schafe zu seiner Rechten stellen und die Böcke zur Linken.

Da wird dann der König sagen zu denen zu seiner Rechten: Kommt her, ihr Gesegneten meines Vaters ... Denn ich bin hungrig gewesen und ihr habt mir zu essen gegeben. Ich bin durstig gewesen und ihr habt mir zu trinken gegeben. Ich bin ein Fremder gewesen und ihr habt mich aufgenommen. Ich bin nackt gewesen und ihr habt mich gekleidet. Ich bin krank gewesen und ihr habt mich besucht. Ich bin im Gefängnis gewesen und ihr seid zu mir gekommen.

Dann werden ihm die Gerechten antworten und sagen: Herr, wann haben wir dich hungrig gesehen und haben dir zu essen gegeben ... Und der König wird antworten und zu ihnen sagen: Wahrlich, ich sage euch: Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan.

Damit sind wir wieder bei den jüdischen Auslegern unseres Predigttextes. Abraham Joshua Heschel erklärte, dass "Spiritualität" und "Politik" nicht zu trennen seien, und "das Gebet … bedeutungslos, wenn es nicht subversiv ist", also auch die bestehenden Verhältnisse und das eigene Handeln hinterfragt. Indem Gott unseren Blick auf den Nächsten lenkt, verschieben sich die Maßstäbe. Wenn alle zu ihrem Recht kommen, eröffnen sich Wege in die Zukunft, weil nicht mehr egoistisch gefragt wird: “Was habe ich davon?” Sondern: “Wie kommen wir miteinander zurecht und sind zufrieden mit dem, was wir haben - nicht allein in unserem Teil der Welt, sondern überall!” 

Dann, so sagt es Gott seinem Volk, ...

... dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten, und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen, und die Herrlichkeit des HERRN wird deinen Zug beschließen. Dann wirst du rufen, und der HERR wird dir antworten. Wenn du schreist, wird er sagen: Siehe, hier bin ich.

Übrigens, diese gemeinschaftliche Sicht eröffnet auch Wege aus der aktuellen Coronakrise, nicht sofort, jetzt und hier, aber mittelfristig. Wie heißt es so schön bei der Aktion Mensch: “Das Wir gewinnt!”